So muss Prog
im Jahr 2016 klingen!
HAKEN zählen
sicher zu den interessantesten Bands im Prog-Genre der letzten Zeit. Man kann
sie sogar durchaus als neuen aufsteigenden Stern am Prog-Metal/Prog-Rock –
Himmel bezeichnen. Ich hab Sie 2014 eher zufällig entdeckt, weil mir seinerzeit
Amazon.de ihr letztes Album „The Mountain“ (2013) ständig vorgeschlagen hatte.
Eigentlich bin ich ja kein Freund von Blindeinkäufen, aber DAS war damals ein
echter Glückstreffer. Dieses Album war (und ist es immer noch!) sehr stark, gefühlvoll,
kreativ und vor allem abwechslungsreich – für manche gar schon zu
abwechslungsreich. Dagegen sahen selbst Dream Theater recht alt aus. Die EP „Restoration“
(2014) sollte man in diesem Zusammenhang auch erwähnen – war doch dieses
Minialbum und Appetithäppchen auf die möglicherweise nächste Großtat ebenfalls
sehr facettenreich. Dementsprechend waren meine Erwartungen an den nun
vorliegenden Nachfolger „Affinity“, der wieder bei InsideOut Music
erscheint, sehr hoch. Die große Frage: Wie mag es denn nun klingen? Gitarrist Charlie
Griffiths machte mich im Vorfeld durch Aussagen, dass man sich bei den
Aufnahmen des neuen Albums von Alben wie 90125 von Yes (1983), Toto IV (1982)
oder Three of a Perfect Pair von King Crimson (1984) inspiriert haben lasse, noch
neugieriger. Geht es jetzt etwa in die 80er Jahre? Zeichnete sich doch vor
allem der Vorgänger „The Mountain“ stark durch Gentle Giant – Einflüsse aus.
Nun ist man also im nächsten Jahrzehnt gelandet. Dazu passen auch das
Albumcover sowie die ganze Aufmachung des neuen Albums. Die von mir erworbene
Limited Edition sieht sehr retro aus. Man fühlt sich plötzlich in das Ende der
80er Jahre versetzt, als Computer nach und nach unsere Welt eroberten und CDs
das Nonplusultra waren. Lustige Details: Zum einem wird das Compact Disc – Logo
auf der Vorderseite des Covers schon verwendet und zum anderem taucht das gute
alte, mysteriöse DDD wieder auf. Soll heißen, es wurde digital aufgenommen,
digital gemischt und digital produziert. Auch das war Ende der 80er Jahre ein
Highlight. HAKEN möchten absichtlich diesen 80er – Style verwenden. Das
Mediabook tut sein übriges und ist mit den vielen Illustrationen ebenfalls im Retro-Stil der 80er Jahre gehalten. Sehr
schick! Gut, soviel zum Äußeren. Doch wie mag das neue Album nun
klingen? Wer hat welche Songs geschrieben? Wer hat alles mitgewirkt und wer hat
das Album produziert? Als Produzent wurde wieder Jens Bogren engagiert, welcher
auch schon für Opeth, Symphony X oder James LaBrie (Dream Theater) tätig war.
Die Standard-CD
enthält folgende Songs (Insofern die 2CD-Version gekauft wurde, gibt es auf der
zweiten CD die instrumentalen Versionen (!) der Songs):
1) affinity.exe [1:24]
2) Initiate [4:16]
3) 1985 [9:09]
4) Lapse [4:44]
5) The Architect [15:40]
6) Earthrise [4:48]
7) Red Giant [6:06]
8) The Endless Knot [5:50]
9) Bound by Gravity [9:29]
(All music
and words written by Haken.)
Wie man
anhand der Credits erkennen kann, waren alle Musiker der Band am Kompositionsprozess
des Albums gleichberechtigt beteiligt. Daneben wirkten auch zwei Gastmusiker
mit. Im Detail waren das:
HAKEN:
- Ross Jennings – Vocals
- Diego Tejeida – Keyboards and Sound Design
- Richard Henshall – Guitar
- Charlie Griffiths – Guitar
- Conner Green – Bass guitar
- Raymond Hearne – Drums
Guests:
- Einar Solberg – Additional Vocals on „The Architect“
- Pete Rinaldi – Acoustic Guitar on „Bound of Gravity“
Eröffnet
wird das Album vom Opener und Titelsong „Affinity.exe“, welcher aber
lediglich ein Intro zum Nachfolgenden „Initiate“ ist. Dieser Song war
schon im Vorhinein samt Musikvideo verfügbar. Es ist ein typischer Prog-Metal Song,
anfangs recht unspektakulär aber dann doch ganz nett anzuhören. Konnte mich das
erste Lied noch nicht wirklich überzeugen, so schaffte es dann aber der nachfolgende
Longtrack „1985“. Der Name deutet es schon an – es ist eine Reminiszenz an
die guten alten Achtziger. Dies hört man sofort heraus. Elektrische Drums
(Drumsamples?) und typische 80er-Jahre-Keyboardsounds machen sich sofort bemerkbar.
Alleine das abwechslungsreiche Intro zeigt offensichtlich, wie HAKEN ihren
Sound verändert haben. Mit zunehmender Länger nimmt der Song an Fahrt auf und
steigert sich gegen Ende in ein wahres Prog-Inferno. Die Band kann hier das
erste Mal ihre Stärken ausspielen. „1985“ ist das erste Highlight des Albums. Meine
Empfehlung: laut hören! Moderner wird es wieder mit dem kurzweiligen „Lapse“.
Ruhige und laute Passagen wechseln sich ab, inmitten des Songs gibt es einen
stimmigen Instrumentalteil der Spaß beim Zuhören macht. HAKEN zeigen, dass man auch
gekonnt Prog in nicht mal 5 Minuten hinbekommen kann.
Das darauffolgende „The Architect“ ist das
längste Lied des Albums. Großartige Melodien eröffnen den Song, der Refrain
sorgt für den nötigen Bombast und das Schlagzeug-Spiel von Raymond Hearne sucht
seinesgleichen. Ab der Mitte des Songs gibt es eine brilliante Gitarrenlinie,
ehe der Höhepunkt erreicht wird. Einar Solberg von der norwegischen ProgMetal
Band Leprous hat hier seinen kurzen Gastauftritt. Mit seinen Growls (dauern
gerade mal eine Minute) gibt er dem Song die nötige Schärfe und Aggressivität. „The
Architect“ ist zweifelsfrei ein weiteres Highlight, wenn nicht gar das beste
Stück des Albums. Nach dieser intensiven Viertelstunde darf es mit „Earthrise“
gerne etwas seichter werden. Dieses eingängige, fröhliche Pop-Rock Liedchen
ist im Gegensatz zum groben Rest am Eingängigsten, ohne aber in zu flachere
Gewässer abzudriften. In einer gekürzten Fassung, könnte ich mir den Song auch
durchaus im Radio vorstellen. Jedenfalls ist „Earthrise“ die perfekte
Verschnaufpause und macht einem für das nächste Großtat fit. Diese folgt in
Form des ArtRock-Songs „Red Giant“. Auch hier präsentieren HAKEN ihren
modernen Sound. Die erste Hälfte des Liedes ist recht ruhig gehalten, ab der
zweiten Hälfte wird es dann vielseitiger. Dort wo „Red Giant“ aufgehört hat,
macht „The Endless Knot“ weiter. Vertrackte Rhythmen, brachiale und dann
wieder schöne Gitarrenläufe und ein grandioses Bassspiel zeigen, dass HAKEN
trotz manch ruhiger Songs immer noch anspruchsvollen progressiven Metal spielen
können. Zum Schluss folgt noch ein weiterer Longtrack namens „Bound by
Gravity“. Dieser steht wieder im Kontrast zum vorherigen Song. Der Song harmonisch,
atmosphärisch, melancholisch und beruhigend. Ein schöner und versöhnlicher
Schluss. Und ehe man sich versieht ist eine gute Stunde vorbei und das Album zu
Ende. Es hinterlässt definitiv einen ausgezeichneten Eindruck.
Allen Fans
empfehle ich auch die 2-Disc-Version, welche zusätzlich die instrumentalen
Varianten der Songs beinhaltet. Es ist eine ganz andere Erfahrung ein Album
komplett instrumental zu hören. Die Songs eigenen sich durchaus dafür. Im
Nachhinein hätte ich mir auch gerne eine Instrumental-CD zum Vorgängeralbum gewünscht.
Die Musiker
…hatten hörbar Spaß am Produzieren des Albums.
Alle agieren auf gewohnt hohem Niveau und mit einer Leichtigkeit und Freude die
seinesgleichen sucht. Ross Jennings Gesang ist wie gewohnt angenehm und warm,
kann aber auch wenn nötig die nötige Härte verbreiten. Seine Gesangsleistung
ist insgesamt sehr gut. Was den Sound angeht, so stechen die Keyboards von
Diego Tejeida natürlich besonders hervor, ohne aber zu dominieren. Denn die beiden
Gitarristen sorgen sehr wohl für die nötigen Kontraste. Die Gitarrenlinie zum
Ende von „The Architect“ ist so z.B. große Klasse. Aber auch sonst ist das typisch
gewohnte Gitarrenspiel von HAKEN wahrzunehmen. Erwähnt werden sollte auch Bassist
Conner Green. Dieser zeigt auf „Affinity“ seine Stärken und spielt sehr schöne
Basslinien. Mit ihm haben HAKEN definitiv ‚einen guten Fang gemacht‘.
ZUSAMMENFASSUNG
Zu allererst: Befürchtungen, das Album würde sich
zu sehr an den Sound der 1980er Jahre orientieren, sind zum Glück unbegründet.
Natürlich ist der Song „1985“ eine großartige Reminiszenz an die goldenen 80er,
die restlichen Lieder sind allerdings von einem modernen, kraftvollen Sound
gekennzeichnet (z.B. „Red Giant“). Das ganze Album bietet dem geneigten Hörer eine
Menge zu entdecken. Es ist sehr abwechslungsreich und sprudelt teilweise nur
voller Ideen. Wohlmöglich wird man auch hier zuerst von dieser Fülle an Ideen erschrocken
sein. Wenn man das Album dann aber ein paar Mal durchgehört hat, wird man garantiert
seine Freude daran habe, denn trotz mancher Veränderung im Sound sind es immer
noch unverkennbar HAKEN die hier spielen. Meine Highlights sind „1985“, „The
Architect“ und „Red Giant“. Vor allem hat mir das furiose „The Architect“ sehr
gefallen. Die restlichen Songs konnten
aber auch (fast) ausnahmslos überzeugen. Das muntere „Earthrise“ sorgt für die
nötige Pause inmitten des teilweise sehr intensiven Gefüges („The Architect“
und „Red Giant“) und „Lapse“ zeigt, wie man gekonnt Prog in nicht mal 5 Minuten
hinbekommt. Einzig der erste Song „Initiate“ konnte noch nicht wirklich Anklang
finden. Für mich ist das auch das schwächste Lied des Albums. Vielleicht kommt
das aber noch. Auf jeden Fall ist die Anordnung der Tracks genau richtig inszeniert.
Genau so muss es sein!
Man muss das Album definitiv mehrere Male
durchgehört haben, um es vollständig erschließen zu können. Das Album benötigt
und verlangt Zeit. Wenn einen das Album dann aber überzeugt hat, wird man
garantiert seine Freude daran haben. Ja, „Affinity“ macht einfach Spaß. Vielleicht
schafft es „Affinity“ ja, Album des Jahres zu werden. Auch wenn dieses noch
relativ jung ist, haben die Jungs von HAKEN die Messlatte schon mal relativ
hoch gelegt. So muss nämlich guter Prog im Jahr 2016 klingen!
Zum Schluss
noch die Sache mit „The Mountain“:
Ich war
anfangs natürlich auch etwas verunsichert, ob das neue Album nun vollständig
überzeugen kann. Ihr letztes Album „The Mountain“ (2013) ist, wie erwähnt, immer
noch eins meiner persönlichen Lieblinge mit einer nahezu perfekten Inszenierung.
Kann das neue Album das Niveau halten oder gar übertreffen? Zu allererst noch
einmal: Das Album ist definitiv anders! Man darf kein zweites „The Mountain“
erwarten. Der Sound ist moderner, vielleicht auch ein Stück weit
elektronischer, geworden. „Affinity“ konnte mich mittlerweile voll überzeugen
und an den hochgelobten Vorgänger anknüfen. Ja, beide Alben sind mich
gleichwertig und gleichermaßen gut inszeniert. Nein, keine Sorge „Affinity“ ist
trotz mancher Veränderungen immer noch 100 % HAKEN. Ich hoffe, dass die Jungs
von HAKEN weiterhin ihren Spaß haben und noch weitere erstklassige Alben produzieren
werden.
(Wenn ihr
Fragen, Anmerkungen oder Kritik bezüglich meiner Rezension habt, dürft ihr dies
gerne in den Kommentaren kundtun.)
Fotos (eigene Fotos):
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