Gekonnte Gratwanderung zwischen
Pop und Prog
Am 18. August erschien das neue
Album des Masterminds Steven Wilson, welches den Titel „To the Bone“ trägt.
Wilson geht mit dem Album wieder in eine andere Richtung und kündigte vorab an,
dass es sehr durch die Musik von Peter Gabriel, Kate Bush oder Talk Talk beeinflusst sein soll. Das
klingt verlockend, waren dies doch alle große Alben des 80er Art-Rocks /
Art-Pops. Auch das stylische Albumcover – welches wieder von Lasse Hoile
entworfen wurde – trägt dazu bei. Ich war auch dieses Mal sehr gespannt, was
Steven Wilson gezaubert hat. Sein Vorgängeralbum „Hand. Cannot. Erase“ ist für
mein Geschmack immer noch perfekt – habe es die Woche gerade wieder im Surround
gehört. Auch die nachfolgende EP „4 ½“ hatte viele nette Momente („My Book of
Regrets“, „Vermillioncore“ und auch „Happiness III“).
An dem Album sind folgende
Musiker beteiligt gewesen:
·
Steven Wilson – guitars,
vocals, bass, keyboards and production
·
Adam Holzman – keyboards
·
Craig Blundell – drums
·
David Kollar – guitars
·
Jasmine Walkes – spoken
word on „To the Bone“
·
Jeremy Stacey – drums
·
Mark Feltham – harmonica on
„To the Bone“ and „Refuge“
·
Nick Beggs – bass, Chapman
stick
·
Ninet Tayeb – vocals on „Pariah“
and „Blank Tapes“, background vocals on „To the Bone“, „Permanating“ and „People
Who Eat Darkness“
·
Paul Stacey – guitars on „Refuge“
·
Sophie Hunger – vocals on „Song
of I“
Neben alten Bekannten wie Adam
Holzman und Nick Beggs sind auch viele neue Musiker mit dabei, wie David Kollar
oder Mark Feltham. Dafür aber kein Marco Minemann am Schlagzeug, kein Guthrie
Govan an der Leadgitarre. Sattdessen soll Wilson verstärkt Gitarre gespielt
haben.
Das Album wurde von Steven
Wilson selbst wieder produziert, mit Unterstützung von Paul Stacey.
Folgende Songs sind auf dem Album
zu finden:
1.
To the Bone
2.
Nowhere Now
3.
Pariah [feat. Ninet Tayeb]
4.
The Same Asylum as Before
5.
Refuge
6.
Permanating
7.
Blank Tapes [feat. Ninet
Tayeb]
8.
People Who Eat Darkness
9.
Song of I [feat. Sophie
Hunger]
10.
Detonation
11.
Song of Unborn
Die vorab veröffentlichten Songs
deuteten schon eine gewisse Veränderung, eine Weiterentwicklung seines Stils an
(gefühlt poppiger). Doch jetzt liegt das komplette Album vor, welches ich
hiermit mal kurz durchsprechen möchte.
Es geht gleich los mit dem
titelgebenden Song „To The Bone“. Wir hören zuerst gesprochene Worte von
Jasmine Walkes, ehe eine von Mark Feltham gespielte Mundharmonika einsetzt. Nach
diesem atmosphärischen Intro folgt die bekannte Stimme Wilsons, ehe ein eher
eingängigerer Rock-Part beginnt. Im gefälligen Refrain ist auch die israelische
Sängerin Ninet Tayeb herauszuhören. Spannend wird es, als ein kurzer, aber treibender
Instrumentalteil einsetzt. Zum Schluss blüht der Song wahrlich auf. Als
Einstieg in das Album definitiv kein schlechter Song. Weiter geht’s.
Mit „Nowhere Now“ folgt
ein poppiger Rocksong. Besonders der Refrain geht ins Ohr. Daneben besticht der
Song aber durch einen groovigen Sound und tollen Melodien auf der Gitarre. An
beiden Songs wirkte übrigens XTC-Songwriter/Gitarrist Andrew „Andy“ Partridge
beim Songwriting mit.
Als nächstes folgt „Pariah“, der
auch schon lange vor dem Erscheinen ausgekoppelt wurde. In seiner Form ist es
quasi der typische melancholische-depressive Steven Wilson Song. Und hier ist Ninet
Tayeb mit ihrem grandiosen Gesang im Refrain dabei. Wisst ihr woran ich zuerst
gedacht habe? Genau: Don’t Give Up von Peter Gabriel mit Kate Bush. Gewisse
Ähnlichkeiten sind vorhanden. Beide Songs sind in den Strophen eher verzweifelnd
und depressiv, während der Refrain aufmunternd wirken soll. Zum Ende von Pariah
gibt es noch ein großes Finale – ein atmosphärisches Ende. Gefällt mir sehr!
Ich nenne diesen Teil inzwischen Coldplay-Teil (bezogen auf das Album Mylo
Xyloto mit den Einflüssen von Brian Eno). Jup, „Pariah“ ist ein guter Song, hat
sich aber mittlerweile vom vielen Hören ein wenig bei mir abgenutzt (aber dafür
kann der Song nichts).
„The Same Asylum as Before“
ist dagegen viel rockiger. Schönes Gitarrenriff. Ich musste zuerst so lachen,
als Wilson in den Strophen falzet singt. Kann man machen. Der Refrainist aber
noch bessser und geht wahrlich ins Ohr. „The Same Asylum as Before“ macht einfach
Spaß beim Zuhören. Porcupine Tree lassen grüßen! Ein richtig guter Song!
„Refuge“ handelt von der
Not syrischer Flüchtlinge. Der Song beginnt ganz verhalten mit
Klavierbegleitung und steigert sich immer weiter. Wilson unterstreicht mit dem
zurückhaltend instrumentierten Gesangsteil den emotionalen Text. Der
Gesangsteil mündet schließlich in einen ergreifenden Instrumentalteil, der mit
einem Mundharmonika-Solo eingeleiter wird und immer großartiger wird. Ein Gitarrensolo
von Paul Stacey und Wilson am Synth. Ich höre hier sehr viel Pink Floyd heraus.
Das hier ist Steven Wilson wie man ihn kennt, wie ich ihn mag. „Refuge“ ist
grandios. Eins der Highlights des Albums.
„Permanating“ gehört wohl
zu den poppigsten Songs, die ein Steven Wilson bisher geschrieben hat – dazu noch
geradezu fröhlich. Die ABBA-Einflüsse sind nicht zu leugnen. Man hört im
Refrain fast schon Mamma Mia raus. Dennoch klingt es auch etwas nach Coldplay.
Ich muss gestehen, dass ich den Song zunächst etwas zu übertrieben fand. Nach
einer Weile – mit dazugehörigem Bollywood-Musikvideo – hat sich der Song aber
in meinem Kopf festgesetzt und wurde zum fröhlichmachenden Ohrwurm. Ich kann ruhigen
Gewissens sagen, dass mir „Permanating“ mittlerweile sehr gefällt. Ein
perfekter Song für den Sommer!
Das kurze „Blank Tapes“ ist
dagegen ein ziemlicher Kontrast und dient zum Verschnaufen. Auch hier singt Ninet
Tayeb im Refrain mit. Es ist ein netter, kleiner Song, der einem auf die
folgenden Großtaten vorbereitet.
„People Who Eat Darkness“ gehört
wieder zu den düsteren Songs des Albums. Wie auch schon „The Same Asylum As
Before“, geht es wieder in die rockigere und härtere Richtung, ohne dabei aber zu
übertreiben. Dieses Mal hat sich Wilson wohl vom Punk beeinflussen lassen. Aber
auch hier höre ich eine Portion Porcupine Tree raus. „People Who Eat Darkness“
gehört für mich zwar jetzt nicht zu den Favoriten des Albums, kommt aber
abwechslungsreich und groovig daher.
Ein weiterer interessanter Song
ist „Song of I“. Gesangliche Unterstützung erhält Wilson dieses Mal von Sophie
Hunger, eine Sängerin und Songwriterin aus der Schweiz. Entstanden ist ein
atmosphärischer, leicht düsterer Song, der seine Kate Bush, David Bowie und
Peter Gabriel (und Depeche Mode, Prince usw.….) -Einflüsse nicht leugnen kann.
Mir gefallen vor allem der Refrain und der symphonische Mittelteil. Sophie
Hunger hat eine erotisch-verführende und geheimnisvolle Stimme. Auch zu diesem
Song wurde ein Musikvideo gedreht, welches absolut perfekt ist. Zusammen ist
das einfach Kunst, die dazu noch sehr gut produziert ist! „Song of I“ hat mich von
Anfang an beeindruckt und gehört definitiv zu meinen Favoriten des Albums.
Es folgt das fast zehnminütige „Detonation“.
Auch dieser Song zeichnet sich durch eine düstere Atmosphäre aus, gepaart mit
teils verfremdenden Sounds. Dazu trägt im hohen Maße auch der Songtext bei, der
von Terrorismus und religiösem Extremismus handelt. Keine leichte Koste also.
Musikalisch zeigt Steven Wilson noch mal allen, was er drauf hat. Der Song
steigert sich immer weiter und mündet in einen grandiosen Instrumentalteil. Ein
richtig schönes Gitarrensolo ist dann die Krönung. So ganz kann es Wilson mit
den epischen Songs doch nicht lassen. „Detonation“ ist mit Sicherheit eins der
stärksten Songs des neuen Albums.
Nach diesem aufwühlenden Lied
folgt mit „Song Of Unborn“ abschließend eine Ballade. Im Songtext wird
die Sicht eines ungeborenen Kindes thematisiert. Die Stimmung ist gedrückt, ja
gar melancholisch. Zum Ende wird der Song aber doch noch hoffnungsvoller.
Don't be afraid to die
Don't be afraid to be alive
Don't be afraid to die
Don't be afraid to be alive
Don't be afraid
Ein Hoffnungsschimmer sozusagen. Unterstützt
wird er von einem dezent arrangierten Chor. Ein schönes Ende eines
abwechslungsreichen Albums.
Das war es mit dem Album. Manche Sorgen,
er würde sich mit diesem Album zusehends vom Progressive Rock verabschieden und
stattdessen puren Pop abliefern, sind zum unbegründet. Einzig „Nowhere Now“ und
das frohe „Permanating“ gehen in die Richtung. Aber alle anderen Songs sind in
ihrer Art immer noch Steven Wilson-Songs, nur wieder etwas anders als auf den
Vorgängeralben. Der Mann hat sich weiterentwickelt, kann aber seine Porcupine Tree
– Wurzeln nicht leugnen. Auch die eingangs erwähnten Einflüsse mancher großartiger
Art-Rock/Art-Pop Alben sind definitiv herauszuhören. Er hat aus all diesen
Zutaten ein wunderbares und abwechslungsreiches Album erschaffen. Songs wie „Refuge“,
„The Same Asylum as Before“ oder „Song of I“ sind einfach perfekt. Und nicht zu
vergessen das düstere „Detonation“. Und selbst das poppige (als ob Pop-Musik
etwas richtig Schlimmes wäre) macht richtig Spaß. Das ganze Album bietet
einfach schöne Musik.
Ihr hört es schon raus: Ich wurde
mit dem Album bisher keinesfalls enttäuscht. Somit kann ich auch ruhigen
Gewissens 5 von 5 Sternen geben.
Ob es sich bei „To the Bone“ um
das „Album des Jahres“ oder „Meisterwerk“ handelt, kann ich natürlich zu diesem
Zeitpunkt nicht sagen. Dafür ist es selbstverständlich viel zu früh. Aber wenn
der positive Eindruck anhalten wird und sich die Songs noch weiter in meinem
Kopf festsetzen werden, besteht die Möglichkeit dazu. Ansonsten kann ich allen
anderen nur sagen: Bitte gebt dem Album eine Chance. Hört es Euch mehrmals in
Ruhe an. Lasst die Songs sich entfalten. Und Steven Wilson soll einfach weiter
machen und sich gerne immer wieder neu erfinden. Ich bin mir sicher, dass er
uns nicht enttäuschen wird.