Mittwoch, 23. November 2016

AnnenMayKantereit und Freunde: Live in Berlin (2016)



Der aufstrebende Stern am Deutsch-Pop-Rock-Himmel – jetzt Live zu hören

AnnenMayKantereit sind derzeit so etwas wie der aufstrebende Stern am Deutsch-Pop-Rock-Himmel. Drei junge Männer, alle aus Köln, machen seit 2014 Musik und wurden damit immer populärer. Ihr aktuelles Album „Alles nix konkretes“ (18. März 2016) kann sich immer noch in den deutschen Albumcharts behaupten, und auch live ist die Band gefragt wie lange nicht mehr. Das ein Livealbum irgendwann folgen sollte, war abzusehen und ist eine Konsequenz aus dem bahnbrechenden Erfolg. Henning May, der Sänger und Pianist der Band ist mit seiner Reibeisenstimme, die an Rio Reiser erinnert, das Erkennungsmerkmal schlechthin. Im Frühjahr 2016 gingen die Jungs auf Tour. Die Band spielte am 19. August in der Zitadelle in Spandau dann das bisher größte Konzert ihrer Bandgeschichte. Mit dabei natürlich waren viele Freunde, sodass man sich entschlossen hat, das Konzert aufzuzeichnen. Ende Oktober wurde das Berlin Konzert dann in einer Doppel-Vinyl-Edition veröffentlicht. Mit dabei ist natürlich auch eine CD!

Ich habe mir mein Exemplar nicht im Amazon-Shop, sondern im AnnenMayKantereit-Shop/Krasser-Stoff besorgt. Die Erlöse gehen übrigens an die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl! Wie gewöhnt, enthält das Album keine weiteren Gimmicks, sondern besinnt sich auf das Wesentliche – schlichte Eleganz eben. Beide LPs haben ein Gewicht von je 140 g. Optisch machen die Vinyls einen guten Eindruck, die Pressqualität geht ebenso in Ordnung.

Kommen wir jetzt nun zum eigentlichen Anliegen – der Musik. Die Track-Liste sieht folgendermaßen aus (Angaben hier für die Vinylschallplatten, wobei A, B und C, D jeweils eine LP darstellen):

A1       Wohin Du Gehst       
A2       Es Geht Mir Gut       
A3       What He Wanted The Most  
A4       Jeden Morgen            
A5       Mir Wär' Lieber, Du Weinst
B1       Neues Zimmer           
B2       James
B3       3.Stock          
B4       Bitte Bleib     
C1       Du Bist Überall         
C2       Nicht Nichts  
C3       Das Krokodil
C4       Come Together          
C5       Oft Gefragt   
D1       Barfuß Am Klavier   
D2       Länger Bleiben          
D3       Pocahontas    
D4       Hurra Die Welt Geht Unter (Featuring – K.I.Z.)     
D4       21,22,23

Die Setlist des Konzertes ist sehr ausgewogen, man bekommt mit dem Album viele bekannte Songs, darunter auch „Hurra die Welt geht Unter“ vom gleichnamigen K.I.Z.-Album oder „Come Together“ von den Beatles.
Die Band beginnt das Konzert mit dem Song „Wohin Du Gehst“ – eine gute Wahl, denn es wirkt als perfekter Einstieg. Mir gefällt ja der Text sehr, der voll von Schmerz und bittersüßer Ironie strotzt. Selbiges könnte man sicher auch über den nachfolgenden Song „Es Geht Mir Gut“ schreiben. Dieses Lied ist angenehm rockig und war sehr lange mein favorisierter AMK-Song. Man achte nur mal auf die tolle Bass-Spur, die lockeren Gitarrenriffs und das kurze Gitarrensolo, welches dann quasi noch das „i-Tüpfelchen“ des ganzen ist. Yeah Baby! Diese zwei Lieder sind ein toller Einstieg, und zeigen eindrucksvoll, dass AMK live viel besser wirken im Studio.
Als nächstes wird der erste „Freund“ begrüßt – es ist Ferdinand Schwarz an der Trompete, mit welchem der erste englische Song „What He Wanted the Most“ gespielt wird. Die Band spielt einen Song auf Englisch, der dazu noch einer ihrer besten ist! Hennings Stimme kommt hier richtig gut zur Geltung. Mit „Jeden Morgen“ folgt die erste Ballade.  Auch wenn manche den Text als vielleicht zu platt („…Ich würd‘ viel lieber von Dir träumen…“) empfinden, lädt das Lied doch zum Träumen und Verweilen ein. „Mir wär' lieber, du Weinst“ geht in die gleiche Richtung wie auch „Wohin Du Gehst“, ist bloß nicht so rockig. Das nachfolgende „Neues Zimmer“ lebt stark von der Atmosphäre, vom Songtext. Anfangs mochte ich den Song nicht so sehr, inzwischen ist er aber ganz angenehm und klingt auch live gut. Weiter geht’s mit einem weiteren Lied auf Englisch. „James“ ist ein traditioneller, von AnnenMayKantereit interpretierter Song. Auch hier zeigt sich, dass Hennings markante Stimme auch sehr gut bei englischsprachigen Songs überzeugen kann. Überhaupt hat der Typ eine richtig tolle Stimme!

Der nächste Song „3. Stock“ geht dann wieder in eine ganz andere Richtung. Auf einmal wird es romantisch-melancholisch, gar schwermütig bis depressiv. Auf dem Album „Alles nix konkretes“ war dieses Liedchen immer mein heimlicher Favorit. Es ist irgendwie so etwas wie eine Herzschmerz-Ballade – aber keineswegs eine flache, sondern zutiefst aufrichtige! Als ich das Lied zum ersten Mal gehört habe, bekam ich sofort eine Gänsehaut und feuchte Augen. Dieser Song geht dermaßen unter die Haut – er strotzt nur voller Sehnsucht und Melancholie. Solche Musik ist einfach Balsam für die Seele. Meine Befürchtung war aber, wie er wohl live klingen mag und ob der Song live auch wirkt. „3. Stock“ war für mich eher immer ein Song für die Kammer, wo er mit einem guten Rotwein gehört wird. Das Publikum hält sich gottseidank dezent zurück, aber trotzdem ich bin der Meinung, dass man dieses zerbrechliche Lied lieber nicht live spielen sollte. Die Band bringt diese wunderbare Ballade nichtsdestotrotz hervorragend rüber.
Das nachfolgende „Bitte bleib“ ist dann wieder was ganz anderes. Es ist sowas wie ein Anti-Liebeslied, das von dieser herrlichen bittersüßen Ironie und von Schmerz geprägt ist. Sänger Henning hat in seinen Texten garantiert vieles autobiographisch behandelt. Auch hier wird die Band von Ferdinand Schwarz an der Trompete begleitet.
Das Smartphone auf dem Konzert – wir kennen das Problem, wen die Mehrheit nur noch mit ihren Handys beschäftigt ist, um Fotos oder Aufnahmen zu machen. Mit dem Song „Du bist überall“ kritisieren AnnenMayKantereit eben jenes Problem auf ihrer eigenen Art und Weise. Mit „Nicht nichts“ präsentiert die Band wider ihrer typische „tanzbare Melancholie“, bevor der Tour-Song „Das Krokodil“ gespielt wird. Live kommt der Song viel besser rüber, als auf dem Album. Anfangs fand ich das Lied etwas nervig, dann wurde es aber doch zum Ohrwurm. Es folgt der Beatles-Klassiker „Come together“. Die Band hat ja des Öfteren angemerkt, dass sie das Lied mögen. Auf YouTube gibt es auch ein Cover-Video zu sehen. Die Band interpretiert den Song verdammt gut!
Richtig Gänsehaut hab ich dann natürlich wieder bei „Oft gefragt“ bekommen. Es ist auch schön zu hören, wie das Publikum mitsingt, ehrliche und handgemachte Musik ist einfach toll. Ich kann das Lied gar nicht oft genug hören – Hennings Stimme und sein Klavierspiel würden mir vollkommen ausreichen. Als nächstes kommt dann mein persönliches Highlight - das berühmt berüchtigte „Barfuß am Klavier“. Dies ist eines der besten auf Deutsch gesungen Liebeslieder die ich in letzter Zeit kennen lernen durfte, weswegen es vom Publikum natürlich auch gefeiert wird. Der Text ist geradezu sehnsüchtig und herzerweichend („… Ich träum dabei von Dir…“). Hinzu kommt noch der schöne, wohlige Klang des Klaviers und fertig ist der Ohrwurm des Jahres 2016! Ich konnte den Song eine Zeit lang gar nicht oft genug hören. Weiter geht es mit „Länger bleiben“, mit leicht verändertem Text und in einer insgesamt rockigeren Version als auf dem Album. Mit „Pocahontas“ folgt quasi schon ein Klassiker, der ebenfalls ordentlich rockt und Spaß macht.
Die nächsten Gäste sind K.I.Z. die zusammen mit AnnenMayKantereit den Titelsong ihres aktuellen Albums „Hurra die Welt geht Unter“. Auch wenn ich kein sonderlicher Freund von Hip-Hop bin, finde ich an dem Song mit seinem postapokalyptischen Text durchaus Gefallen. Den Abschluss des Livealbums macht dann „21, 22 ,23“, welches mit seinem schmunzelnden Text zu gefallen weiß, ehe das Konzert an dieser Stelle zu Ende ist.

Das war es also, das erstes Livealbum von AnnenMayKantereit und gelichzeitig das bisher größte Konzert ihrer Bandgeschichte. Live sind AnnenMayKantereit eine Wucht. Auf der Bühne lassen May und seine Kollegen Christopher Annen, Severin Kantereit und Bassist Malte Huck die Sau raus – und das klingt verdammt gut! Im Gegensatz zum Studioalbum, welches meiner Ansicht nach viel zu vorsichtig produziert wurde (siehe meine Rezension dazu), können die Musiker auf ihrem Livealbum die Energie und Dynamik einfangen, die sie einfach so erfolgreich machen. Die ganze Atmosphäre ist einfach herrlich, was natürlich dem Publikum zu verdanken ist. „Live in Berlin“ ist ein schönes Livealbum, welches die Lust- und Leidenschaft der Band, live zu performen, ausgezeichnet wiedergibt. Von mir gibt es daher 5 von 5 Sternen. Gut gemacht, Jungs!

Kleine Anmerkung noch von mir: Wenn ihr PRO ASYL unterstützen wollt, kauft das Album im Online-Shop von AnnenMayKantereit. Ich bin mir nicht sicher, ob die Erlöse der Amazon-Einkäufe auch an die Menschenrechtsorganisation gehen.

(Wenn ihr Fragen, Anmerkungen oder Kritik bezüglich meiner Rezension habt, dürft ihr dies gerne in den Kommentaren kundtun.)



(Eigene Fotos)


Weitere Rezension zu AnnenMayKantereit:

Mittwoch, 14. September 2016

Jennifer Rostock: Genau in diesem Ton (2016)



Ebbe und Flut

Jennifer Rostock sind endlich zurück! Ich kenne und liebe die Band nun seit 2011 („Mit Haut und Haar“ wird deshalb wohl auf ewig meine Lieblingsscheibe der Band sein…) und freue mich riesig, das das neue Album nun in meinen Händen halten zu können! Zwei Jahre hat es seit „Schlaflos“ und der EP „Kaleidoskop“ gedauert, bis das neue Studioalbum „Genau in diesem Ton“ erschien. Die Aufnahmen dazu gingen bis in den Herbst 2015 zurück und dementsprechend war ich auf die neue Platte gespannt. Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude. Einige YouTube-Videos von den neuen Songs wurden schon im Vorfeld ausgekoppelt und ließen erahnen, wie das neue Album klingen könnte. Also lange Rede, kurzer Sinn – werfen wir die CD einfach in den CD-Spieler und hören uns die neuen Songs einfach mal an (Ich werde jetzt nicht jeden einzelnen Song des Albums dursprechen, das würde sicher den Rahmen sprengen…).

Den Auftakt macht UNS GEHÖRT DIE NACHT und sofort hört man den typischen Jennifer Rostock- Sound raus: elektrisch aber trotzdem rockig, mitreißend aber keineswegs billig daherkommend! Es ist ein schöner, selbstbewusster Poprocksong der sich perfekt als Opener eignet. Selbstbewusst ist auch das nächste Lied IRGENDWAS IST IMMER, in welchem die heutige Meckerkultur der Menschen angeprangert wird. Der Song ist rockig, kurzweilig und strotzt nur von E-Gitarren. Vor allem weiß auch Jennifer mit ihrem Gesang zu gefallen – ich liebe es, wenn sie ab und zu auch mal „rumschreit“. Nächstes Highlight des Albums ist WIR WAREN HIER. Auch dieser Song ist so typisch Jennifer Rostock, der ein ungemeines Ohrwurmpotenzial hat und mit Sicherheit auch live sehr gut ankommen wird! Ich kann mir den Song auch gut im Radio vorstellen. Das nachfolgende NEIDER MACHEN LEUTE hat mich anfangs etwas an „Mein Mikrofon“ erinnert, geht dann aber doch in eine härtere Richtung. Ich mag den Song sehr. Große Klasse ist auch der Text, in welchem die Band ihre Vergangenheit reflektiert und eine deutliche Botschaft an ihre Kritiker sendet: Wir sind (gottseidank!) nicht totzukriegen.
Auf jedem Jennifer Rostock Album gab es bisher immer ein oder zwei Songs, die aus dem Rahmen fielen. Die große Überraschung dieses Albums ist das Lied HENGSTIN, welches mit fetten Beats daherkommt und in etwas in die Hip-Hop-Richtung geht. Natürlich ist dies nicht jedermanns Sache und auch ich musste den Song ein paar Mal hören, um mich damit anfreunden zu können. Mittlerweile kann ich aber auch damit etwas anfangen, auch wenn es sicher nicht einer meiner Favoriten des Albums wird. Ich bin gespannt, ob die Band diesen Song live performen wird.
Nach diesen kraftvollen, selbstbewussten und mitunter ungewöhnlichen Songs braucht man etwas Erholung. Genialer Weise hat man nach dem bizarren „Hengstin“ ein kurzes Instrumental mit dem Titel EBBE UND FLUT angeordnet. Dieses Kleinod sorgt für die nötige Ruhe, entspannt und bereitet einen auf die nächsten Großtaten vor, die folgen sollten. Es geht direkt in den nächsten Song über, welcher passender Weise DEICHE heißt. Das Lied ist die erste Ballade des Albums. Auch hier werden ruhigere Töne angeschlagen.
Im nächten Song wird es politisch. Jennifer Rostock sind ja dafür bekannt, dass sie politische Themen immer wieder mal in ihren Songs verarbeiten, doch hier ist es sehr deutlich zu spüren. WIR SIND ALLE NICHT VON HIER thematisiert die Flüchtlingsproblematik sowie aktuelle Strömungen wie PEGIDA oder die AfD. Keine allzu leichte Kost also. Es ist aber mutig auch solche Dinge anzusprechen und das verdient in meinen Augen Respekt. Letztendlich bleibt nämlich eine Aussage: Alle Menschen sind gleich! Textlich und musikalisch wird dies sehr gut umgesetzt und Jennifers kraftvoller, ausdrucksstarker Gesang passt wunderbar zu diesem Song. Aktueller Favorit ist übrigens der Song JENGA – ein ziemlicher Kontrast zum vorherigen Lied, denn hier werden Themen wie das Auseinanderleben und Zerbrechen von Beziehungen behandelt. Den Abschluss macht I LOVE YOU, BUT I’VE CHOSEN DISPO, welcher ein typischer Jennifer Rostock Punkrocksong mit Hardcoreeinflüssen ist, der zu gefallen weiß. Und damit ist das Album auch schon zu Ende.

Ich hatte von Anfang an sehr hohe Erwartungen an das neue Album, da mir die zwei Vorgängeralben sehr gefielen und auch die kleine EP „Kaleidoskop“ perfekt war – enttäuscht wurde ich nicht im geringsten! „Genau in diesem Ton“ ist ein abwechslungsreiches, kräftiges und vor allem erwachsenes Album. Das hier ist kein Mainstream, sondern vielfältiger Deutschrock. Das Album bietet weit mehr als normalen Pop-Rock – es gibt Ausflüge in den Punkrock, Hardcore-Einflüsse und sogar einen kurzen Streifzug in den Hip-Hop. Ich bin jedenfalls mit dem Album mehr als zufrieden. Viele Songs sind wirklich gut! Meine Lieblingssongs sind „Wir waren hier“, „Deiche“, „Wir sind alle nicht von hier“ und „Neider machen Leute“. Für jeden Jennifer Rostock – Fan ist das neue Album ein Must-Have! Danke für die tolle Musik und wir sehen uns dann im nächsten Jahr auf der Tour!! Ich vergebe daher wohlverdiente 5 von 5 Sternen.

(Wenn ihr Fragen, Anmerkungen oder Kritik bezüglich meiner Rezension habt, dürft ihr dies gerne in den Kommentaren kundtun.)


 (Eigene Fotos, Verwendung nur mit Erlaubnis des Fotografen.)
  (Eigene Fotos, Verwendung nur mit Erlaubnis des Fotografen.)
  (Eigene Fotos, Verwendung nur mit Erlaubnis des Fotografen.)

Montag, 27. Juni 2016

Steve Hackett: The Total Experience Live in Liverpool (2 CD / 2 DVD)



Acolyte To Wolflight with Genesis Revisited

Im letzten Jahr feierte Steve Hacketts erstes Soloalbum „Voyage Of The Acolyte“ seinen 40. Geburtstag. Gleichzeitig wollte der ehemalige Genesis-Gitarrist sein aktuelles Soloalbum „Wolflight“ vorstellen. Aus diesen Gründen wurde letztes Jahr sowie Anfang dieses Jahres wieder ausführlich getourt. Die Tour lief unter den tollen Namen „Acolyte To Wolflight with Genesis Revisited“. Wie der Titel es auch schon andeutete, durften natürlich auch einige Genesis-Klassiker nicht fehlen. Und so kam es, dass InsideOut Music Steve anbot, einen Film von der Herbst-Tour 2015 zu machen. Als Ort wurde dieses Mal Liverpool, Heimatstadt der Beatles,  gewählt. Produziert wurde der Konzertfilm von Paul Green. Das Ergebnis trägt den Namen „The Total Experience: Live in Liverpool“. InsideOut hat aus dem Konzert ein 2DVD/2CD-Set gemacht, das eine Bonus-DVD enthält und das gesamte Konzert, verteilt auf zwei Audio-CDs. Gleichzeitig erscheint der Konzertfilm auch auf BlueRay, hier allerdings ohne die zwei CDs. Im Folgenden wird das 2DVD/2CD-Set bewertet.

AUFMACHUNG

Das kleine Box-Set kommt in Form eines Digipacks anstatt einer hochkantiger DVD-Verpackung. Dieses Format wurde bereits für die Veröffentlichungen „Live At Hammersmith“ und „Live At The Royal Albert Hall“ gewählt. Das Digipack ist aufklappbar, mit einem schlichten und zweckmäßigen Design. Enthalten ist das gesamte Konzert in Form von zwei Audio-CDs und einer Konzert-DVD. Auf der zweiten DVD befinden sich die Extras wie die Tour-Dokumentation und Musikvideos einiger Wolflight-Stücke. Pluspunkt ist wie immer, dass man einen Abdruck des Covers mit FSK-Logo einlegte und dadurch keine Verunstaltung des Box-Sets machte. 



DAS KONZERT

Die Setlist in der Übersicht:

CD 1:
1.      Corycian Fire Intro
2.      Spectral Mornings
3.      Out of the Body
4.      Wolflight
5.      Every Day
6.      Love Song to a Vampire
7.      The Wheel's Turning
8.      Loving Sea
9.      Jacuzzi
10.  Icarus Ascending
11.  Star of Sirius
12.  Ace of Wands
13.  A Tower Struck Down

CD 2:
1.      Shadow of the Hierophant
2.      Get 'em Out by Friday
3.      Can-Utility and the Coastliners
4.      After the Ordeal
5.      The Cinema Show
6.      Aisle of Plenty
7.      The Lamb Lies Down on Broadway
8.      The Musical Box
9.      Clocks
10.  Firth of Fifth

Die Setlist bietet ein recht kontrastreiches Programm, bestehend aus intensiven und ruhigeren Songs. Alleine der Anfang ist grandios. Schon zu Beginn spielt die Band den Klassiker Spectral Mornings – eine ungewöhnliche und mutige Wahl, denn dieses Instrumental dürfte *DAS* Hackett-Stück schlechthin sein. Ob dieses Stück als Opener gut geeignet ist oder nicht, ist sicher Ansichtssache. Dennoch ist es ein wundervoller Start und sofort war die Gänsehaut bei mir da. Danach gibt es mit Out of the Body und Wolflight zwei Songs seines aktuellen Albums und besonders hier war es interessant zu erfahren, wie diese neuen Songs live wirken. Erfreulicherweise ist zu sagen, dass diese ohnehin fantastischen Songs live noch mal ein ganzes Stück dazugewonnen haben. Anschließend begrüßt uns alle Steve in seiner gewohnt freundlichen und offenen Art. Mit EVERY DAY folgte dann ein weiterer Kracher. Da ich diesen Song liebe, ist  dies natürlich ein ganz besondere Moment für mich und sicher ein erstes Highlight. Als erster Gast kommt Amanda Lehmann auf die Bühne, welche Gesang und E-Gitarre beisteuert. Auf hohem Niveau geht es dann weiter mit LOVESONG TO A VAMPIRE, welches mit seinen ausufernden Chören im Refrain einem „Court of the Crimson King“ nicht unähnlich ist. Es folgt dann The Wheel's Turning mit seinem ulkigen Anfang („There is no Schadenfreude here“). Bei LOVING SEA wird es akustisch. Steve wechselte zur 12-saitigen Gitarre, Gary O’Toole kommt von seinem Schlagzeug hervor und gesellt sich neben Steve auf die Bühne, wo er zusammen mit Rob Townsend für Percussions zuständig ist – mal etwas anderes, aber sehr gut. Durch das geschickte Einstreuen solch ruhiger Song in mitten eines recht intensiven Programms, kann man sich als auch das Publikum erholen und entspannen. Jedenfalls sorgt der Song für einen guten Kontrast. Eine Akustikversion von JACCUZI von seinem 1980er Album Defektor folgt danach. Als weiteren Gast kommt Steves Bruder John Hackett auf die Bühne. Nach diesem leichten Stück kam erstmals Nad Sylvan auf die Bühne und sang ICARUS ASCENDING. Man war ja im Vorfeld schon darüber informiert, dass es gespielt werden sollte. Alle Welt hat sich gefragt, wie dieses Juwel mit Nad Sylvans Stimme wohl klingen mag. Es ist natürlich schwer, jemanden wie Richie Havens zu ersetzten, aber ich bin der Meinung, dass sich diese Liveversion vom Original nicht verstecken muss.
Nach diesem Klassiker folgt ein Block bestehend aus vier Songs seines ersten Soloopus „Voyage Of The Acolyte“. Den Anfang macht hier STAR OF SIRIUS, welches wiederum von Nad Sylvan gesungen wird. Auch hier muss sich sylvan nicht verstecken, kommt er doch mit seiner Stimme an das Original (gesungen von Phil Collins) recht nahe dran. Anschließend geht es nahtlos in ACE OF WANDS über. Dieses farbenfrohe Instrumental darf natürlich bei keinem Hackett-Konzert fehlen, und auch diese hier dargebotene Version ist es ein echtes Highlight. Es ist ein wahrliches Feuerwerk, ein musikalisches Fest welches Steve Hackett samt Band hier zelebriert. Das ist die pure Lebensfreude. Darauf folgt A TOWER STRUCK DOWN, welches im Gegensatz zum Original ein ganzes Stück brutaler rüberkommt. Ich mag es ab und zu mal, wenn Steve die Leinen los lässt. Man traut es dem zurückhaltenden, höflichen Engländer eigentlich nicht so wirklich zu, aber manchmal zeigt er auch mal seine etwas härtere, experimentierfreudige Seite.
Als letztes Stück des Solo-Blocks wird dann das epische SHADOW OF THE HIEROPHANT gespielt, welches von Amanda Lehmann gesungen wird. Ihr glasklarer, engelsgleicher Gesang passt wie immer wunderbar zu diesem Stück. Das Highlight ist hier selbstverständlich der furiose Instrumentalteil. Die Band gibt alles - man möchte, dass es damit nicht aufhört. SHADOW OF THE HIEROPHANT ist eins dieser bombastischen Nummern, für die Steve für immer ein Stein im Brett bei mir haben wird. Damit war der erste Teil des Konzertes vorbei.

Als nächstes folgt ein Genesis-Block und erste Überraschung ist hier Get 'Em Out By Friday. Das recht sperrige Stück brilliert durch die vielen aufgeteilten Gesangparts, denn nicht nur Nad Sylvan, sondern auch Gary O’Toole und Steve Hackett selbst teilen sich hier den Gesang. Erstes Highlight des zweiten Blocks ist dann aber Can-Utility and the Coastliners – ein Song, welcher vielleicht wie kein anderer die Essenz von Genesis beinhaltet. Sofort ist dieser Gänsehautmoment während des Instrumentalteils da. Das Stück kann live überzeugen und wird auch vom Publikum verdienterweise gebührend gewürdigt. Anschließend wird es interessant….
Richtig gespannt war ich nämlich auf den Dreiteiler, bestehend aus AFTER THE ORDEAL, THE CINEMA SHOW und AISLE OF PLENTY. Ersteres wird in einer erweiterten Version gespielt, als es auf Selling England by the Pound zu finden ist. Hier kann Neuling Roine Stolt an der E-Gitarre mit einem schönen Solo brillieren und zeigen, dass auch er ein hervorragender Gitarrist ist. Es folgt THE CINEMA SHOW, welches sich weitestgehend an das Original hält. Tonys Synthie-Solo wird von Roger King gespielt, mit Unterstützung von Rob Townsend an den Blasinstrumenten. Steve spielt Mike Rutherfords Rhythmusgitarren-Part, während Roine Stolt an der Doubleneck-Gitarre den Bass bedient. Auch hier ist es schön Gary beim Schlagzeug-Spiel zuzusehen. Es geht natürlich nahtlos in AISLE OF PLENTY über, in welchem Nad Sylvan allerdings nicht wie im Original die skurrilen Supermarkt-Angebote singt. Man war dennoch gut unterhalten. Vielleicht hätte man THE CINEMA SHOW anders arrangieren können, sodass Tony Banks Solo am Synthesizer von Steve mit der Gitarre gespielt worden wäre, allerdings jammere ich jetzt auch auf extrem hohem Niveau
Über die Wahl von THE LAMB LIES DOWN ON BROADWAY lässt sich sicher streiten. Ich hab den Eindruck, dass es nicht wirklich ins Set passt. Man hätte vielleicht dann doch einen Song nehmen sollen, wo es einen direkten Bezug zu Steve gibt, wie beispielsweise CARPET CRAWLERS oder FLY ON A WINDSHIELD. Dennoch wurde das Stück solide dargeboten. Anschließend folgt mit THE MUSICAL BOX dann ein Klassiker, ein richtiges Highlight. Auch hier wird wieder einmal gezeigt, wie wichtig die Rolle von Rob Townsend doch ist. Durch das Einstreuen der Blasinstrumente wird dem Song das nötige I-Tüpfelchen verpasst.
Als Zugabe des Konzertes wurden noch CLOCKS und FIRTH OF FIFTH gespielt. Ersteres ist inzwischen schon ein Live-Klassiker von Steve Hackett. Durch das Verwenden von reichlichen Mellotron-Streichern und Basspedalen, wird hier eine bedrohliche Stimmung erzeugt, welche sich dann schlagartig entlädt. Hervorzuheben ist hier wieder einmal Gary O’Toole, denn sein Drumsolo am Ende von CLOCKS ist grandios. Bevor die Band dann wirklich die Bühne verlässt, gibt es mit FIRTH OF FIFTH noch ein letztes Highlight und auch bei diesem Song ist die Stimmung einfach grandios. Das überragende Gitarrensolo ist wie immer zum Niederknien und dürfte auch den letzten Nörgler zufriedengestellt haben. Anschließend ist das Konzert dann wirklich zu Ende.

Was mir noch auffällt: Es wurden keine Songs vom Vorgängeralbum „Beyond the Shrouded Horizon“ gespielt, was etwas schade ist, da es zu meinen persönlichen Lieblingen unter den Hackett-Alben gehört. Dennoch bietet die Setlist eine gelungene Werkschau durch das recht umfangreiche Schaffen von Steve Hackett.

DIE BAND

Steve Hackett – electric and acoustic guitars, lead vocals and backing vocals
Roger King – keyboards and programming
Rob Townsend – sax, flute, tin whistle, clarinet, additional keyboards, bass pedals, percussions, backing vocals
Gary O'Toole – drums, percussions, vocals and backing vocals
Roine Stolt – bass guitar, double-neck guitar (12 string guitar and bass), electric guitar, backing vocals
Nad Sylvan – lead vocals, tambourine  

Guests:

Amanda Lehmann – electric guitar, lead vocals and backing vocals
John Hackett – flute

Die Band spielt auf gewohnt hohem Niveau und ist stets gut gelaunt. Steve Hackett wirkt wie immer stets freundlich, offen und dem Publikum zugewandt. Man merkt dem Altmeister einfach an, dass er Spaß an seiner Sache hat. Ab und zu spricht er zum Publikum, lässt aber ansonsten seine Gitarre sprechen. Seine Gitarrenkünste sind ohne Zweifel erhaben und er spielt an diesem Abend alle Songs mit einer Leidenschaft, die Seinesgleichen sucht. Hervorzuheben seien da EVERY DAY, Love Song to a Vampire und SPECTRAL MORNINGS. Ein weiterer Musiker, der an diese Abend wahnsinnig viel Spaß gehabt haben dürfte, ist Gary O'Toole. Er macht seine Sache sehr gut, wirkte locker und lässig. Es macht einfach Spaß ihm zuzuschauen. Besonders SHADOW OF THE HIEROPHANT und das Drumsolo am Ende von CLOCKS machten deutlich, dass Gary ein Vollblutmusiker ist. Zu erwähnen ist auch die Rolle von Rob Townsend, der schon seit vielen Jahren dabei ist und zu einem essentiellen Bestandteil der Band wurde. Die Einbindung der verschiedenen Blasinstrumente gibt den Songs das gewisse etwas. Aber auch Roger King an den Keyboards macht seine Arbeit wie gewohnt sehr gut. Der Neuling in der Runde – Roine Stolt – wirkt manchmal etwas schüchtern und unsicher. Ich bin mir nicht sicher, ob er sich in der Rolle des Bassisten so richtig wohlfühlte. Man muss dazu aber auch sagen, dass es schwer ist, jemanden wie Nick Beggs zu ersetzten. Im zweiten Teil des Konzertes kam Roine weit besser zur Geltung und wirkte in der Rolle des Mike Rutherford sicherer. Dennoch macht er insgesamt seine Sache gut. Mit dabei ist auch weiterhin Nad Sylvan. Er ist – man mag von ihm halten was man will – inzwischen schon ein integraler Bestandteil der Steve Hackett – Mannschaft geworden. Seine Interaktionen mit dem Publikum sowie kleine Details, wie z.B. die Percussions bei Can-Utility and the Coastliners machen ihn sehr sympathisch. Auch gesanglich kann er überzeugen. Selbst das im Vorfeld angezweifelte ICARUS ASCENDING bringt Sylvan mit Bravour rüber.

BILD UND TON

Das Bild der DVD ist sehr ordentlich - Standardauflösung eben, die BlueRay liegt mir leider nicht vor, sodass ich diese nicht bewerten kann. Vielleicht hätte man hier und dort etwas mehr herausholen können, aber ich jammere jetzt auf sehr hohem Niveau. Auch die Kameraeinstellungen sind optimal, keineswegs zu hecktisch sondern so angepasst, dass man das Geschehen auf der Bühne gut mit verfolgen kann. Der Sound an sich ist sehr klar, dynamisch und kraftvoll - keineswegs breiig, sondern gut abgemischt. Besonders die Bässe kommen sehr gut rüber. 
Verwirrend ist die Angabe, dass das Konzert in 4.1 daherkommt – laut Informationen aus dem Internet soll der Kanal für die Rear-Speaker ein einziger sein. Leider konnte ich das Konzert bisher nicht in Surround-Sound testen, um dies zu überprüfen. Vielleicht mag ja ein anderer Rezensent darauf hinweisen.

ZUSAMMENFASSUNG

Das war sie nun, die neue Live-Veröffentlichung von Steve Hackett. Über Sinn und Unsinn dieser Veröffentlichung lässt sich vielleicht streiten - gibt es doch inzwischen recht viele Live-Veröffentlichungen der letzten Tourneen (sowohl Solo als auch die Genesis-Revisited Tour). Einer sagte mal „Die Kuh wird weiter gemolken“. Davon kann jeder halten was er will, nichtsdestotrotz wird uns mit diesem Digipack ein tolles Konzert geboten. Die Band spielt auf Top-Niveau, die Songs sind allesamt gut bis sehr gut und auch das Bild ist ordentlich. Interessant war es zu erfahren, wie die neuen Songs seines aktuellen Albums im Livekontext wirken. Alle Zweifel wurden mit diesem Konzertfilm ausgeräumt. Die neuen Songs klingen live noch mal besser als im Original und das Publikum weiß das auch zu würdigen. Vor allem WOLFLIGHT und LOVESONG TO A VAMPIRE kommen live sehr gut rüber.  
Kritisieren könnte man eventuell den recht hohen Anteil an Genesis-Songs, was aber garantiert marketingtechnisch seine Gründe haben dürfte. Als Hackett-Fan wünsche ich mir wieder verstärkt Solosongs in die Setlist, wie es vielleicht auf der „Once above a time“ oder „Fire and Ice“ zu finden ist. Dennoch bietet aber auch der Genesis-Teil viele Highlights wie Can-Utility and the Coastliners, THE CINEMA SHOW oder THE MUSICAL BOX. Und das abschließende FIRTH OF FITH sowieso über alle Zweifel erhaben. Welcher von den beiden Teilen jetzt besser ist, lässt sich schwer sagen. Ich tendiere zum Hackett-Soloteil, da dort viele Songs gespielt werden, die ich einfach liebe. Allem in allem ist es aber ein sehr abwechslungsreiches Konzert. Insgesamt ist dieses Box-Set eine lohnenswerte Investition (und Ergänzung!) für alle Hacketteers, sowie für alteingesessene Genesis-Fans der Prog-Phase.